Die Exoten kommen: Tierische und pflanzliche Einwanderer profitieren von der Globalisierung – moderne Verkehrsmittel erleichtern die „illegale“ Einreise. Aber bedrohen sie auch hiesige Ökosysteme oder womöglich sogar unsere Gesundheit? Seit Jahrhunderten verändern sie unsere Landschaft – die Globalisierung beschleunigt den Prozess.
In den vergangenen 100 Jahren haben Waschbären Procyon lotor sehr viel erlebt in Europa. Erst wurden sie aus Nordamerika verschleppt, dann als Pelztier gehalten. 1934 wurden am hessischen Edersee im Kellerwald zwei Waschbärpaare gezielt ausgesetzt. Sie sollten die heimische Tierwelt bereichern und die Jag attraktiver machen. Andere Waschbären entkamen später aus Pelztierfarmen, etwa im brandenburgischen Wolfshagen oder im Harz. Seitdem stieg ihre Zahl rapide.
Große Augen, dunkle Maske, süße Schnauze: ein echter Herzensbrecher. Wer kann dem Charme von Waschbären (F: N.P. Kellerwald-Edersee/Hessen) schon widerstehen? Doch die neuen Nachbarn können auch Ärger machen!
Anfang der 1960-er Jahre wurde die Population auf rund 600 Tiere geschätzt. Wie viele heute bei uns leben, ist weitgehend unbekannt. Vermutungen gehen von 70.000 bis sogar 1,3 Mio. aus. Richtig beliebt sind sie allerdings nur als putzige Akteure in Internetfilmchen. Im echten Leben gelten Waschbären als Raubtiere, Störenfriede und Bedrohung für die heimische Flora und Fauna (laut Andreas Kinser von der Deutschen Wildtierstiftung „gibt es ernst zu nehmende Studien, dass Gerade im Bereich der Amphibien und Reptilien Waschbären eine Bedrohung sein können“). 8/2016 hat die Europäische Union den Waschbären auf die Liste der gebietsfremden Arten gesetzt, die durch ihre Ausbreitung die heimische Artenvielfalt gefährden (Neozoen). Anmerkung: Klingt makaber: Die einzigen konkreten Zahlen über Waschbären in Deutschland stammen vom Jagdverband ‚DJV‘. In der Saison 2022/2023 wurden 202.821 Expl. erlegt (inkl. Fallwild etwa 5 %) – eine Steigerung um mehr als 180 % in nur zehn Jahren. Von den Hotspots in Hessen und Brandenburg aus haben sich die Tiere mittlerweile in alle anderen Bundesländer ausgebreitet.
Verbreitung und Lebensraum: Heimat der Waschbären ist Nordamerika. Die dortigen Misch- und Laubwälder mit vielen Gewässern gelten als ihr liebster Lebensraum. Ähnliche Verhältnisse finden sie z.B. auch im N.P. Kellerwald-Edersee/Hessen vor. Das bevorzugte Habitat sind gerade gewässerreiche Misch- und Laubwälder mit höhlenreichem Altholzanteil. Durch seine Anpas-sungsfähigkeit besiedelt er aber auch strukturarme Naturgebiete und urbane Lebensräume, wo sie leicht Nahrung finden (Komposthaufen, Gärten, Müll).
Sie sind sozusagen Allesfresser, nehmen also sowohl pflanzliche als auch tierische Nahrung zu sich: Insekten, Würmer, Weichtiere, Käfer, Fische, Krebse, Vögel und deren Gelege, Kleinsäuger, juv. Bisam, Eicheln, Nüsse, Mais, im Herbst kommen noch Obst und Beeren sowie Aas dazu, Katzenfutter, Essens-reste aus Mülltonnen bzw. Bio-Beuteln – Hauptsache, es ist leicht erreichbar. So unschuldig die zwischen 3,6 – 10 kg schweren Kleinbären (Größe 40 – 70 cm; Schwanzlänge 20 – 40 cm) auch wirken mögen, sie sind und bleiben gefräßige Wildtiere.
Verhalten & Fortpflanzung: Die dämmerungs- und nachtaktiven Tiere leben in losen Kleingruppen zusammen. Miteinander verwandte ♀ ♀ (Fähen) teilen sich meist ein Streifgebiet. Nicht verwandte ♂♂ leben in sogenannten Rüden-koalitionen, bestehend aus meist vier Tieren. So können sie sich während der Paarungszeit gegenüber fremden Männchen zur Wehr setzen. Da ♂♂ gegen-über von nicht verwandten Jungtieren aggressiv werden können, meiden ♀ ♀ diese Gruppen, bis der Nachwuchs groß genug ist, sich selbst zu verteidigen. Die Paarungszeit dauert in Mitteleuropa von Januar bis Februar. Nach etwa 65-tägiger Tragezeit wind im Frühling der Nachwuchs (2 – 5 Junge; Nesthocker) geboren, der bis Herbst von der Mutter alleine großgezogen wird. ♀ ♀ erreichen bereits vor dem Beginn der nächsten „Ranzzeit“ die Geschlechtsreife; ♂♂ nur teilweise. Viele Nachkommen bleiben ihr Leben lang in der Nähe der Mutter, junge ♂♂ suchen sich dagegen weiter entfernte Territorien – ein instinktives Verhalten zur Vermeidung von Inzucht.
Im Alter von einem Jahr machen sich junge ♂♂ auf die Reise. Sie entfernen sich dabei zw. 5 + 20 km von ihrem Geburtsort. PS: 2009 markierten Forscher einen Waschbären und verfolgten dessen Wege mittels Funk. Er wanderte vom Müritz-N.P. bis nach Orel/Niedersachsen 285 km – Deutscher Rekord!
In Gefangenschaft können Waschbären 16 – 20 Jahre alt werden. In freier Natur lediglich wenige Jahre. In Europa gibt es zwar kaum größere Raubtiere, in deren Beuteschema sie passen (Anm.: Die Rückkehr der Großraubtiere Wolf und Luchs lassen jedoch darauf schliessen, dass auch Waschbären als Beute-anteil vermehrt in deren Speiseplänen aufgenommen werden!), doch Gefahren gibt’s genug: Ihre größten Feinde sind Viren und Bakterien, die gelegentlich zur Durchsuchung ganzer Populationen führen. Dank hoher Reproduktionsrate werden die Defizite innerhalb weniger Jahre wieder ausgeglichen. Auch schlecht für die Gesundheit: Verkehrsunfälle mit Autos.
Waschbären in der Stadt – was tun? Erfolg versprechende Vorbeugungen gegen unerwünschten Besuch von Waschbären ist der Verschluss von möglichen Einstiegen zu Dachböden oder Schuppen, bspw. durch glatte Bleche, an denen die Tiere keinen Halt finden. Auch Obstbäume können so geschützt werden. Katzenklappen lassen sich heutzutage mittels Sensor elektronisch vor ungebetenem Einlass ausrüsten. Müllreste oder Fallobst sollten ebenfalls nicht offen liegen bleiben. Gesundheitsrisiken für den Menschen: Durch Flöhe, Läuse und Zecken können Waschbären verschiedene Krankheitserreger auf Mensch und Haustiere übertragen, ebenso wie infektiöse Krankheiten (bspw. Staupe, Panleukopenie, Hasenpest) und Tollwut. Vorsicht auch bei der Entsorgung der „Toiletten“ auf Dachböden: im Kot können möglicherweise gefährliche Spul-wurm-Eier enthalten sein! Schon aus diesem Grunde wird auch davon abgeraten, sie als Haustiere zu halten.
Schon gewusst? Was den Waschbären auszeichnet: Waschbären gehören zur Familie der Kleinbären Procyonidae. Das Säugetier hat einige erstaunliche Eigenschaften und Fähigkeiten:
● Der Tastsinn – Die Pfoten von Waschbären sind viel sensibler als menschliche Hände. Damit untersuchen Waschären potenzielle Nahrung auf Essbarkeit. Sie tasten Gefundenes sorgfältig ab. Übrigens: Raccoon, der englische Name des Waschbären, ist Ursprung der indigenen Sprachen Amerikas „Arakun“. Das bedeutet in etwa „der mit seinen Händen reibt, schrubbt und kratzt“.
● Superhirn: Beim Menschen werden rd. 10 % des für die Sinneswahrneh-mungen zuständigen Bereich im Gehirn für den Tastsinn beansprucht Der hoch entwickelte Tastsinn von Waschbären nimmt in diesem Bereich fast ⅔ ein.
● Intelligentes Tier: Verhaltensforscher haben herausgefunden, dass Waschbären in etwa so lernfähig sind die Rhesusaffen. Waschbären sind sehr intelligent und verfügen über ein ausgezeichnetes Gedächtnis.
● Der Kletterkünstler: Sehr geschickt. Für eine Säugetier von dieser Größe besitzt der Waschbär die ungewöhnlich Fähigkeit, einen Baum mit dem Kopf voraus nach unten zu klettern. Für besseren Halt verdrehen sie ihre Hinterpfoten, bis sie nach hinten zeigen.
Abschließend die Frage – „Sind Waschbären eine Plage?“ Fest steht: Wir werden sie nicht mehr los und müssen lernen, ein Stück weit mit ihnen zu leben. Ein Ansatz könnte die Arbeit des Berliner Vereins „Hauptsache Waschbär“ sein (siehe ff. ARTE-Reportage). Im Juni ’23 wurde der Verein mit dem Berliner Tierschutzpreis ausgezeichnet. Die Mitglieder fordern etwa einen langfristigen Schutz der Tiere, bauen eine Nothilfestation für verwaiste Jungtiere auf und konzipieren ein Pilotprojekt zur Sterilisation und Kastration, um die Ausbreitung einzudämmen. Anmerkung: Im Gegensatz zu derartigen Maßnahmen bei Hauskatzen bedarf es keines Gemeinderatsbeschlusses und keiner diesbezüglichen Ortssatzung!
Quellen: Michael Setzer „Tierische Einwanderer“ SÜDWEST PRESSE/WISSEN 19.6.21; Kai Riesemann „Niedlich oder nervig?“ TVdirekt 21/2023 + Doku „Die Waschbären von Berlin – Streit um die neuen Nachbarn in der Hauptstadt“ ARTE 16.10.23; „Die Exoten kommen“ DKV Impulse 03/09; Bestimmungshilfe für Naturfreunde „Fährten und Spuren“ DJV 2023; Hartmut Felgner „Die Rückkehr der Großraubtiere“ pdf und F-Serie; Wikipedia.