Bionik: Im Wort werden die beiden Begriffe Biologie und Technik miteinander verschmolzen. Wie der Begriff bereits nahelegt, versucht diese relativ neue Wissenschaftsdisziplin, Erkenntnisse aus der Tier- und Pflanzenwelt als Vorlage zur Lösung technischer Aufgaben anzuwenden. Mittlerweile kann man Bionik an 19 deutschen Hochschulen studieren. – Moderne Produkte werden immer leistungsfähiger und ausgeklügelter. Nicht selten kann hier die Natur entscheidende Impulse für die Entwicklung neuer Techniken geben. Es ist kein Zufall, dass die Form eines Flugzeuges einem Vogel ähnelt. Bei vielen mensch-lichen Erfindungen hat man sich von der Natur inspirieren lassen. Hier finden Sie weitere Erfindungen, die wir der Natur als Vorbild zu verdanken haben:
Auch moderne Flugzeugkonstrukteure nehmen sich den Vogel zum Beispiel: Im Gleitflug spreizt der Adler (Foto © Wilhelm Knopp) eine Flügelspitzen nach außen. Dadurch entstehen an den Flügelspitzen viele kleine Luftwirbel, die den Flug weniger stören. Der NASA-Aerodynamikspezialist Richard Whitcomb Betrag das Prinzip in den 1970er Jahren auf Flugzeuge. Die Flugzeuge liegen heutzutage durch die hoch gestellten Spitzen („Winglets“) an den Flügelenden sicherer in der Luft und verbrauchen weniger Kraftstoff.
Aufzeichnungen Otto Lilienthals zeigen, wie akribisch er sich mit dem Thema des Fliegens „Lilienthal Flugkunst anhand Studien vom Weißstorch“ befasste. Der Luftfahrtpionier verstand das Prinzip der Vogelflügel wirklich und baute mit diesem Wissen eigene Fluggeräte. 1891 hob er zum ersten Mal ab und glitt rund 20 m durch die Luft; seine weiteste zurückgelegte Strecke betrug 250 m. Um fliegen zu können, müssen Vögel aerodynamischen Auftrieb erzeugen. Dieser wird beim Gleitflug dadurch erreicht, dass die umströmende Luft an der Oberseite der Flügel einen längeren Weg zurücklegen muss als an der Unter-seite. Die höhere Geschwindigkeit oberhalb der Schwingen sorgt für einen Unterstuck, der die Tiere beim Segelflug in die Höhe hebt.
Für die Technik in und an Hubschraubern schauen Forscher gern nach der Libelle. Ein Flugzeug muss immer vorwärts fliegen. Hubschrauber können ebenso wie Libellen in der Luft stehen bleiben und auch rückwärts fliegen. Ein Hubschrauber startet und landet stets senkrecht. Der Bioniker Professor Ingo Rechenberg enträtselt die Hightech-Lösungen der Natur. Er weiß: Libellen haben eine sehr viel raffiniertere Flugtechnik als Hubschrauber. Das Wissen münzte er in künstliche Libellen um.
Gleich zwei Kniffe aus dem Tierreich dienen als Vorlage, um Windräder zu verbessern. Zum einen sind dies die s.g. Tuberkel, wellenförmige Ausbuch-tungen an den Brustflossen von Buckelwalen, die eine Effizienzsteigerung versprechen…
…und die Serrations, die, abgeschaut von den Flügeln der Schleiereule, als bewegliche Dreiecksreihen hauptsächlich für eine geringere Geräuschentwick-lung der Rotoren sorgen soll.
Bereits 1951 wurde der Klettverschluss zum Patent angemeldet. Dem schwei-zerischen Ingenieur Georges de Mestral war aufgefallen, dass sich bei Spazier-gängen ständig Früchte der Großen Klette (Foto links: Tiertransport der Fruchtstände, s.g. „Epichorie bzw. Epizoochorie“ oder Anhafter – hierunter versteht man die an Tiere angepasste Ausbreitung von Samen oder Früchten einer Pflanze durch Anhaftung an die Körperoberfläche eines Tieres) im Fell seines Hundes verfingen.
Unter dem Mikroskop entdeckte er die hakenförmige Form der Pappushaare und entwickelte daraus das Klebeband (Velcro), einen wieder lösbaren Schnellverschluss aus zwei sich verhakenden Faserstreifen.
Optimiert für das Fahren wie das Bremsen – so einen Autoreifen wünscht sich jeder. Bei der Suche nach dem perfekten Pneu nutzten die Ingenieure die Natur als Ideenreservoir. Gepardenpfoten passen sich perfekt den jeweiligen Erfor-dernissen an. Beim Geradeauslaufen sind die Tatzen der Großkatze schmal, sie haben deshalb einen geringen Widerstand. Beim Kurvenlaufen oder Abbrem-sen spreizen sich die Tatzen, werden breiter und übertragen deshalb mehr Kraft auf den Boden. Obwohl es in der Natur keine Räder gibt, diente diese außer-gewöhnliche Fähigkeit der Raubkatzen-Pfote als Vorbild für die Entwicklung eines Reifens. Biologische Forschungen bildeten die Grundlage für die Arbeit der Reifeningenieure, die so den ContiPremiumContact entwickelten. Sie nutzten dabei die sogenannte Evolutionsstrategie mittels rechnerischer Computersimulationen, um die optimale Gummimischung und den bestmög-lichen Aufbau des Reifens herauszufinden. Dieser entspricht jetzt dem Katzen-pfoten-Vorbild: Bei normaler Fahrt ist er so breit wie ein normaler Sommer-reifen, trägt somit zu einem niedrigen Spritverbrauch und einem perfekten Fahrverhalten bei Nässe bei. Bremst das Auto, wird durch den so erzeugten höheren Druck der bionische Reifen stärker als ein konventioneller verbreitert und damit die Kontaktfläche zwischen Reifen und Straße vergrößert. Neben einem optimierten Kurvenverhalten wird so auch der Bremsweg um bis zu zehn Prozent verkürzt. Der „Katzenpfoten-Reifen“ ist schon seit 2000 ein Verkaufsschlager.
Haie (F: Zitronenhai Negaprion brevirostris, auch Atlantischer Zitronenhai genannt) besitzen eine Haut, die mit winzigen übereinanderliegenden Placoid-schuppen bedeckt ist. Die längsgerillten Plättchen sind strukturell aufgebaut wie Zähne und bewirken einen geringeren Wasserwiderstand, verhindern aber auch die Anhaftung von Algen und Seepocken. Diese „Riblet-Effekt“ genannte Eigenschaft macht man sich bei Schiffsanstrichen zunutze, um die Rümpfe länger sauber zu halten. Zum Foto oben links: 1919 wurde die SEUTE DEERN in alter Schiffbautechnik im Bundesstaat Mississippi gebaut. Damals noch unter dem Namen ELIZABETH BANDI ging es 1938 für sie nach Hamburg. Dort wurde sie zum Dreimaster umgebaut und erhielt so ihr einprägsames Äußeres.
Israelische Forscher beobachteten, dass der bunte Clownfisch (Amphiprion percula, auch Trauerband-Anemonenfisch genannt) inmitten giftiger Seeane-monen gefahrlos bewegt. Sie fanden heraus, dass der Körper des Fisches mit einer Schutzschicht überzogen ist. Diese Außenhaut gaukelt den Seeanemonen vor, dass es sich nicht um ein potentielles Beutetier, sondern um einen eigenen Fangarm handelt. Mit diesem Trick gelingt es dem Clownfisch unbehelligt zw. den Fangarmen hin und her zu schwimmen und seine Eier im Schutz der See-anemone abzulegen. Inzwischen ist es gelungen, den Wirkstoff, den der Clown-fisch zur Verwirrung der Seeanemone einsetzt, zu isolieren und in einen Zusatz für Sonnencremes (wird in Apotheken unter dem Namen „AMV Sonnen- und Quallenschutz“ vertrieben) zu überführen. Dabei verhindert eine silikonartige Substanz den direkten Hautkontakt mit Quallen und Annemonen. Weitere Sub-stanzen unterdrücken den Auslösemechanismus, hemmen die Signalweiter-leitung und blockieren den Druckanstieg in den Nesselzellen, so dass es erst gar nicht zum Abschuss der giftigen Nesselkapseln kommt. PS: Der Deal ist perfekt: Anemonen bieten Clownfischen mit ihren giftigen Nesselzellen Schutz vor Fressfeinden. Als Gegenleistung sorgen die schwimmenden Gäste nicht nur für saubere Tentakeln – sie wedeln auch Sauerstoff heran, wenn der im Wasser knapp wird.
Vielleicht kennt Ihr das auch: Ihr seid in der Dämmerung oder nachts noch unterwegs, und dann huschen auf einmal zwei leuchtende Punkte an euch vorbei, die einen auch noch zu verfolgen scheinen. Was auf den ersten Blick etwas gruselig wirkt, ist am Ende viel niedlicher als gedacht: Ein Vierbeiner namens Katze. Sie sind Nachtjäger und haben es auf Kleintiere abgesehen. Aus diesem Grund sind ihre Sinnesorgane mit einer Technik ausgerüstet, mit der die Dunkelheit für sie kein Problem ist. Besonders die leuchtenden Augen stechen dabei hervor. Doch wie machen die Katzen das? Was die Augen zum Leuchten bringt, ist ihr Augenhintergrund – eine spiegelnde Schicht hinter der Netzhaut, Tapetum lucidum („Leuchttapete“) genannt. Das einfallende Licht durchdringt die Netzhaut und wird wie ein Spiegel zurückgeworfen, dadurch wird es ein zweites Mal durch die Sehzellen geschickt. Katzen können aus diesem Grund auch bei wenig Licht noch gut genug sehen – sogar sechsmal besser als wir Menschen. Bei völliger Dunkelheit ist dann aber Schluss – selbst die Katze ist dann so gut wie blind. Der Mensch hat sich das Prinzip bei der Katze abgeschaut und das Katzenauge ans Fahrrad gebracht. Sie bedienen sich der gleichen Technik und sorgen durch die Reflektion für mehr Sicherheit im Straßenverkehr.
Als der Botaniker und Mikrobiologe Heinrich Francé 1919 Kleinstlebewesen auf einem Acker gleichmäßig verteilen wollte, nahm er sich die Samenkapsel des Mohns (Foto: Mohnblume Papaver rhoeas) zum Vorbild und erfand einen speziellen (Salz-) Streuer. Es war das erste deutsche Patent einer bionischen Erfindung und ein wichtiger Durchbruch in der Bionik-Geschichte.
Warum der Hochgeschwindigkeitszug „Shinkansen“ so schnell (mehr als 300 km/h) über Schienen brausen kann und doch nicht beim Verlassen von Tunnels explosionsartig laute Schallwellen erzeugt, verdanken die Menschen in Japan dem Eisvogel. Von diesem haben sich die Bahn-Techniker:innen die spezielle Schnabelform abgeschaut.
Die wohl bekannteste Eigenschaft aus der Pflanzenwelt, die in der Bionik genutzt wird, ist der s.g. „Lotus-Effekt“ (Foto). Hier sorgen mikroskopisch kleine, mit Wachs überzogenen Kegel auf der Blattoberfläche dafür, dass Wasser durch seine Oberflächenspannung nur auf den Spitzen der Kegel auf-liegt und so sehr schnell abperlt. Dabei reißt es Schmutzpartikel mit und hält die Blattoberfläche sauber und trocken (zur kommerzielle Anwendung kommt der Selbstreinigungseffekt bei Wandfarben, Folien, Gläsern und Sprays).
Der Wiesen-Bocksbart Tragopogon pratensis stand für Sir George Cayley Pate, als er den ersten praktikablen Fallschirm entwickelte. Seine Erkenntnis, dass der weit unten liegende Schwerpunkt der Früchte und die nach außen hochge-zogenen tragenden Flächen einen autostabilen Flug ermöglichten, setzte er im Fallschirm um.
Quellen: BIOKON + /Best Practices 31.7.14; „Vorbild Natur“ WELT 15.5.10; „Nächtliche Fürsorge“ SPIEGEL/WISSENSCHAFT 28.2.13; „Martina Rüter „Sonnencreme mit Quallenschutz“ 18.3.15; „Hier hat die Technik von der Natur abgeschaut“ Blick.ch/WISSEN 1.1.21; reflexsticker.de 12.10.21; „Was der Eisvogel mit einem Zug zu tun hat“ KiJUKU 14.11.22; „Von der Natur inspiriert“ SÜDWEST-PRESSE/WISSEN/ Deutschlandfunk, NATIONAL GEOGRAPHIC, FACC, EnBW, Otto-Lilienthal-Verein, Aeroreport, studieren.de, Uni Bonn 24.2.24; Wikipedia.